Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Zwischen 22 und 7 Uhr soll Ruhe sein am Himmel

TA 16.08.2022 – Neue Lärmgrenzwerte empfohlen

Geht es nach der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung, werden die Lärmgrenzwerte deutlich verschärft. Stark betroffen wäre der Flughafen.

Der erste Flieger donnert um 6.02 Uhr über die Häuser. Die Opfikonerstrasse in Wallisellen liegt genau unter der Anflugschneise zum Flughafen. «Der Lärm am frühen Morgen stört», sagt Anwohnerin Marlise Pulver. «Häufig kann ich nicht mehr richtig einschlafen.» Ihr Mann Georges Pulver ist Frühaufsteher und meist sowieso spätestens um sechs Uhr auf den Beinen. Lästig findet er jedoch den Fluglärm am Abend, der oft bis um Mitternacht andauert. Wenn die beiden Musik hören oder fernsehen, übertönt in regelmässigen Abständen ein Flugzeugmotor das Programm. Auch ihren Balkon können die beiden kaum geniessen. Beide Ehepartner sind Mitte 70 und wohnen seit gut 35 Jahren an diesem Ort. «Was wollen wir noch umziehen in unserem Alter», sagt Marlise Pulver. Während der Pandemie hätten sie die Ruhe sehr genossen. «Seither nehme ich den Lärm stärker wahr.»

In den Gemeinden rund um den Flughafen sind zahlreiche Menschen in einer ähnlichen Situation. Manche sagen zwar, sie würden sich nicht gestört fühlen. Doch es ist erwiesen, dass Lärm auch unabhängig von der persönlichen Einstellung krank macht. Ein konstanter Lärmpegel führt generell zu höherem Blutdruck und somit auch mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem wird der Tiefschlaf oberflächlicher, weshalb man sich weniger gut erholt. Kinder, die tagsüber oder nachts Lärm ausgesetzt sind, erbringen schwächere Schulleistungen. Auch Übergewicht und Diabetes treten in der lärmausgesetzten Bevölkerung häufiger auf.

Viele schlafen bis 7 Uhr

Deshalb empfiehlt die Eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung (EKLB) dem Bundesrat nun, die Lärmvorgaben zu verschärfen. Vor allem soll die Nachtruhe am Morgen verlängert werden, von aktuell sechs Uhr bis sieben Uhr. Für den Flugbetrieb soll der Grenzwert zudem tagsüber von 60 auf 54 Dezibel gesenkt werden. 

«Die geltenden Grenzwerte stammen aus den 80er-Jahren und halten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr stand», sagt EKLB-Präsident Jean-Marc Wunderli. «Die Schädlichkeit von Lärm wird unterschätzt.» Die Befragungen der Kommission haben ergeben, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung um sieben Uhr aufwacht. «Der Schlaf ist besonders schützenswert», betont der Umweltwissenschaftler. Abends soll die Nachtruhe bei 22 Uhr beibehalten werden, weil unter anderem Kinder spätestens dann zu Bett gehen und die Einschlafphase speziell sensibel ist. Am Flughafen Zürich dürfen Maschinen aber bis 23 Uhr starten und landen. Häufig dauert der Verspätungsabbau auch bis Mitternacht.

Für den Strassenlärm will die Kommission den Grenzwert tagsüber bei 60 Dezibel beibehalten, jedoch nachts um drei Dezibel, von 55 auf 52 Dezibel, senken. Zudem sollen für Wohn- und Mischzonen gleiche Normen wie für reine Wohnzonen gelten; aktuell sind letztere tiefer. Auch die Grenzwerte für Eisenbahnlärm sollen sinken. Allerdings ist noch unklar, ob und wie die Empfehlungen umgesetzt werden. Das Bundesamt für Umwelt prüft momentan, welche Folgen die Anwendung der EKLB-Empfehlungen hätten. Je nach Befunden wird es dem Bundesrat eine Anpassung der Lärmschutzverordnung vorschlagen.

Schon heute strenger als im Ausland

Für den Flughafen Zürich steht aber schon jetzt fest, dass die vorgeschlagenen Änderungen nicht praktikabel sind. «Wir haben bereits heute die kürzesten Betriebszeiten unter vergleichbaren Flughäfen in Europa», betont Mediensprecherin Elena Stern. «Der Auftrag des Flughafens Zürich ist es, gute Direktverbindungen in die wichtigsten Zentren der Welt anzubieten. Damit ist eine weitere Verkürzung der Betriebszeiten nicht vereinbar.» Sollten neue Grenzwerte eingeführt werden, sei der Flughafen Zürich wie bis anhin auf sogenannte Erleichterungen angewiesen, führt Stern weiter aus. Damit ist gemeint, dass Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer Geld für Schallschutzfenster erhalten, statt dass der Lärm an der Quelle bekämpft wird. Auch neuere Flugzeuge könnten das Problem nicht lösen, erklärt Stern. «Moderne Flugzeuge sind zwar in der Regel deutlich leiser. Die Lärmgrenzwerte werden aber trotzdem überschritten.»

Kloten befürchtet Einschränkungen

Auch in Kloten ist man in keiner Weise glücklich über die Vorschläge. Eben erst 2015 hat der Bund die Lärmschutzverordnung für die Flughafenstadt gelockert, damit in den lärmigen Ostquartieren neue Wohnungen entstehen können. Seither wurden direkt unter dem Endanflug auf Piste 28 etliche neue Wohnblöcke gebaut. «Die Verschärfung der Lärmgrenzwerte hätte einschneidende Folgen für die Siedlungsentwicklung in Kloten und die gesamte Flughafenregion», sagt der stellvertretende Verwaltungsdirektor Marc Osterwalder. Der Bericht der Lärmbekämpfungskommission sei wohl ausschliesslich mit der «Lärmschutzbrille» erstellt worden, glaubt Osterwalder. «Aus unserer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, dass die Vorschläge ungefiltert veröffentlicht wurden.» Die zuständigen Mitarbeitenden seien derzeit am Prüfen, wie sich eine entsprechende Anpassung der Lärmschutzverordnung im Detail auswirken würde.

Auch im Bereich Strassen- und Bahnlärm sei eine Verschärfung sehr genau zu prüfen, findet Osterwalder. «Diese Lärmgrenzwerte hätten Einfluss auf die Gesamtentwicklung der ganzen Schweiz.» Bereits mit den heutigen Grenzwerten sei es an Staatsstrassen kaum mehr möglich, Wohnbauprojekte zu bewilligen – vor allem in Stadtzentren mit höheren Verkehrsaufkommen. Dabei seien neuere Bauten besser gegen Lärm gedämmt als ältere.

Nachtruhe wichtig für Gesundheit

Dass ein Zielkonflikt zwischen den verschiedenen Interessen besteht, ist auch Priska Seiler-Graf bewusst. Die Co-Präsidentin der Koalition Luftverkehr Umwelt und Gesundheit (Klug) und SP-Nationalrätin geht davon aus, dass die Vorschläge nicht eins zu eins, sondern pragmatisch umgesetzt werden. Doch sie betont: «Es geht nicht an, dass die wirtschaftlichen Interessen stets über die gesundheitlichen gestellt werden.» Spezifische Studien hätten gezeigt, dass besonders die Nachtruhe sehr wichtig sei, erklärt die ehemalige Klotener Stadträtin, die selber regelmässig von spät landenden Flugzeugen geweckt wird. «Weniger fliegen wäre nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für das Klima ein Gewinn.»