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Von wegen Flugscham – warum wir nach wie vor gern weit weg reisen

TA 23.05.2023 – Klimaschädlicher Tourismus

Übers Wochenende nach Lissabon oder für einen Kurztrip nach Dubai: Die viel beschworene Flugscham ist bei der Schweizer Bevölkerung kein Thema. 

Warum führen hohe Flugpreise und Flugscham nicht zu einem nachhaltigen Verhalten?

Übers Wochenende ins pittoreske Lissabon, eine Woche Frühlingsferien im sonnigen Dubai oder zwei Wochen Badeferien auf den Malediven. Seit Ende der Corona-Pandemie hat der Flugverkehr wieder Hochkonjunktur. Und das trotz den hohen Preisen bei den Flugtickets und der anhaltenden Debatte über den Klimawandel. 

Seit Beginn der Pandemie haben sich Flugreisen um fast zwei Drittel verteuert, wie aus dem monatlich erhobenen Landesindex für Konsumentenpreise im Luftverkehr hergeht. Allein in den vergangenen zwölf Monaten betrug das Plus rund 27 Prozent.

Warum führen hohe Flugpreise und Flugscham nicht zu einem nachhaltigen Verhalten? Das mag erstaunen, zumal Schweizerinnen und Schweizer bei anderen Themen durchaus sensibel auf einen kleinen Aufpreis reagieren und umweltfreundlicher konsumieren. 

Das zeigt das Beispiel der Plastiksäcke, die im Detailhandel angeboten werden. Seit sie fünf Rappen kosten, greift kaum noch jemand danach, wie diese Redaktion berichtete. Ihr Verbrauch ist dem Detailhandelsverband Swiss Retail Federation zufolge in den letzten sechs Jahren um 88 Prozent zurückgegangen. Dabei handelt es sich bei den Kosten für die Plastiksäckli um wesentlich kleinere Beträge, als bei den Ausgaben für eine Flugreise. 

Nach Einschätzung von Monika Bandi Tanner spielen beim Thema Ferien ganz andere Komponenten eine Rolle. Sie ist Leiterin der Forschungsstelle Tourismus der Universität Bern. «Über Preisfaktoren lässt sich die Nachfrage im Tourismus nicht allein steuern, da hier Vorlieben, Prestige und das Bedürfnis nach Ferne hinzukommen», sagt Tanner.

So ähnlich erklärt das auch Thomas Brudermann, Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz: Das Fliegen sei stark in unserem Lebensstil verankert und omnipräsent, täglich werden wir in den sozialen Medien damit konfrontiert. Influencer posten Strandbilder aus den Malediven, die Reichen und Schönen zeigen sich in traumhaften Ferienresorts – das verstärkt laut Brudermann die Sehnsucht nach Ferne. 

Fehlender Zukunftsoptimismus verstärkt kurzfristiges Denken

Und auch die latente Krisenstimmung der vergangenen Jahre dürfte nach Einschätzung des Psychologen zu einer verstärkten Nachfrage nach Flugreisen beitragen. «Viele Unsicherheiten haben unser Leben die letzten Jahre geprägt und auch jetzt noch, darum denkt sich der Mensch: Ich muss jetzt leben und geniessen, wer weiss, wie lange das noch möglich ist», sagt Brudermann.

Dieser fehlende Zukunftsoptimismus trage dazu bei, kurzfristig zu denken. «Wäre die aktuelle Zeit nicht so stark von Krisen geprägt, würde der Mensch einfacher Dinge in die Zukunft schieben können.»

Es werde erst dann weniger gereist, wenn die Menschen unmittelbar von Naturkatastrophen, Krieg oder einer Rezession betroffen sind. 

Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten kommt hinzu, dass die negativen Auswirkungen von Flugreisen auf das Klima nicht unmittelbar sichtbar sind. Beim Thema Plastikmüll ist das jedoch anders. So kursieren in den Medien immer wieder Bilder von riesigen Plastikinseln in den Ozeanen oder Abfallbergen an Waldrändern. Das schaffe eine ganz andere Art von Betroffenheit, erklärt Tourismusforscherin Bandi Tanner. Bei der Luftqualität ist die CO₂-Belastung aber kaum sichtbar und für den Konsumenten darum schwerer nachzuvollziehen. 

Dabei wäre der Verzicht auf Flugreisen nach Einschätzung von Nachhaltigkeitsforscher Brudermann rein aus Klimasicht viel angebrachter. Plastik werde zwar oft als der Sündenbock Nummer eins dargestellt. In Studien zeige sich aber, dass der Verzicht auf Plastik im Alltag und die damit verbundenen positiven Folgen auf die Umwelt stark überschätzt würden. «Rein aus Sicht des Klimaschutzes nützt das nicht viel.»

Anders sei das beim Fliegen: «Ein Flug von Zürich nach Griechenland und zurück verursacht pro Person 800 bis 900 Kilogramm CO₂-Äquivalente.» Unter CO₂-Äquivalenten versteht man die Summe von tatsächlich ausgestossenem CO₂ und anderen Treibhausgasen, die in CO₂ umgerechnet werden. Beim Beispiel dieses Fluges entfällt rund ein Drittel der Klimawirkung auf Kohlendioxid, und zwei Drittel auf andere Treibhausgase sowie Kondensstreifen.

Zum Vergleich: Für dieselbe Menge Emissionen könnte man sein Haus ein paar Hundert Jahre lang mit Licht versorgen. «Man könnte auch bis ans Ende seines Lebens täglich mehrere Plastiksäcke verbrauchen und würde nicht den gleichen Fussabdruck wie mit einem Langstreckenflug verursachen», so der Nachhaltigkeitsforscher.

Doch auch wenn Plastik nicht einen derart grossen CO₂-Abdruck verursacht, ist beim Kunststoff das Problem,  dass er kaum abbaubar ist. Eine Plastiktüte braucht laut Umweltverbänden 20 Jahre bis sie sich zersetzt. Das Mikroplastik, das dabei entsteht, bleibt noch viel länger in der Atmosphäre. 

Die breite Masse kennt keine Flugscham 

Die viel beschworene Flugscham ist kein Thema der Masse: «Damit beschäftigen sich nur Personen, die sich stark mit dem Klimawandel auseinandersetzen», so Brudermann. Deshalb kompensierten auch wenig Leute ihren Flug mit CO₂-Zertifikaten. «Wer sich nicht fürs Klima interessiert, zahlt auch keine Abgaben», sagt der Nachhaltigkeitsforscher.

Überdies sieht er die Zertifikate kritisch: «Leider sind sehr viele dieser Zertifikate wertlos. Dass zum Beispiel Bäume gepflanzt werden, kann den Abdruck allein nicht wettmachen. Eine Buche braucht 80 Jahre, um eine Tonne CO₂ zu binden.» Zudem versuche sich der Konsument so von seinem schlechten Gewissen freizukaufen und für sein problematisches Verhalten zu bezahlen. Prinzipiell sei es gut, für Umweltschäden zu zahlen, besser wäre es aber, würde man sie gar nicht erst verursachen.