Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Südanflüge und Lärmgrenzwerte

 

Die Genehmigung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt für Landungen aus Süden auf der Piste 34 des Flughafens Zürich liegt vor; die technischen Vorbereitungen sind im Gange, und als Termin für die Aufnahme der Südanflüge ist der 30. Oktober angekündigt. Noch lässt sich nur schwer ein Urteil über die Fluglärmbelastung bilden; ebenso gibt es noch viele offene Rechtsfragen bezüglich der Entschädigungsansprüche.

bl. Die Südanflüge auf die Piste 34 des Flughafens Zürich, mit denen vom 30. Oktober dieses Jahres an zu rechnen ist, werden für ein stark bevölkertes Gebiet eine erhebliche neue Fluglärmbelastung bringen. Über deren Ausmass im einzelnen Fall wird man erst nach Einführung des neuen Flugregimes Klarheit gewinnen können. Keine Frage ist es, dass die stärkste Belastung von Wohngebieten in Glattbrugg, Wallisellen, Zürich Schwamendingen, Stettbach, Gockhausen (Dübendorf), Pfaffhausen und Benglen (Gemeinde Fällanden), Binz und Ebmatingen (Gemeinde Maur) sowie in der Gegend der Forch zu erwarten sein wird. Mit zunehmender Entfernung vom Flughafen sind die Flugzeuge nicht nur höher, sondern die Flugwege fächern sich beidseits der Anflugachse auf, womit sich die Lärmbelastung am einzelnen Ort reduziert.

Wie weit die Einwohner der Gebiete zu beiden Seiten der Anflugachse den Fluglärm als störend beurteilen werden, hängt vom subjektiven Empfinden ab. Manche Leute fühlen sich schon gestört, wenn sie heute die Flugzeuge in mehr als 3000 Meter Höhe wahrnehmen, die über dem Pfannenstiel nach Nordosten fliegen auf der Anflugroute zur herkömmlichen Landung aus Norden (zum Vergleich: Flugzeuge auf dem Südanflug werden sich über der Forch noch etwa 600 Meter über Grund befinden). Andere scheinen sich mit Fluglärm recht gut abfinden zu können; den Eindruck gewinnt man jedenfalls angesichts mancher neuer Siedlungen im Unterland.

Mit den subjektiven Einstellungen zum Fluglärm ist jedoch wenig anzufangen, wenn es um rechtliche Auseinandersetzungen wie beispielsweise um Forderungen nach Entschädigungen für den Minderwert von Liegenschaften geht. Der Gesetzgeber hat sich daher um die Schaffung objektiver Kriterien bemüht; sie kommen zum Ausdruck in den Lärmgrenzwerten der eidgenössischen Lärmschutzverordnung.

Keine Landungen vor 6 Uhr

Für die Südanflüge liegen Prognosen der Lärmbelastung der Empa vor; sie wurden erstellt in Zusammenhang mit dem Umweltverträglichkeitsbericht, der mit dem Gesuch zur Änderung des Betriebsreglementes für Landungen auf der Piste 34 (Südanflüge) vom Flughafen den Bundesbehörden eingereicht werden musste. Besonders kritisch in Bezug auf das Überschreiten der Lärmgrenzwerte ist die Zeit von 5 Uhr bis 6 Uhr (die sogenannte letzte Nachtstunde), für welche die niedrigsten Grenzwerte gelten. Eine Empa- Prognose zeigt hier Überschreitungen des Immissionsgrenzwertes für Wohnzonen in einem Korridor, der bis in die Gegend des hinteren Pfannenstiels reicht und bis zu 2 Kilometer breit ist.

Das aber wurde vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) als nicht akzeptabel beurteilt. Dieser Auffassung hat sich das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) angeschlossen; und mit der Genehmigung der Südanflüge ist deshalb die Auflage verbunden worden, dass künftig keine Landungen vor 6 Uhr morgens zugelassen werden sollen. Solche Ankünfte sind bereits heute in den Flugplänen nicht vorgesehen – aber immer wieder treffen vor allem Langstreckenflüge aus dem Fernen Osten vorzeitig in Zürich ein und landen hier gelegentlich schon knapp nach 5 Uhr 30. Das soll also mit Einführung der Südanflüge auf Piste 34 ändern.

Für das Gebiet der Ostanflüge auf Piste 28 werden mit Einführung der Südanflüge die Landungen am frühen Morgen kein Thema mehr sein, hingegen muss hier weiterhin der Flugbetrieb am Abend nach 20 Uhr (Wochenende und Feiertage) und nach 21 Uhr an den übrigen Tagen in Kauf genommen werden, wobei in den beiden Nachtstunden nach 22 Uhr der Immissionsgrenzwert für Wohngebiete in einem von Kloten über Nürensdorf bis in die Gegend von Kemptthal reichenden Streifen überschritten wird.

Täuschende Werte der Gesamtbelastung

Damit steht also im Wesentlichen nur noch die Lärmbelastung während der Tagesstunden (gemäss Lärmschutzverordnung von 6 bis 22 Uhr) zur Diskussion. Und da ergibt sich, dass die Südanflüge lediglich im Gebiet der Stadtgrenze zwischen Wallisellen und Schwamendingen, östlich des Autobahndreiecks Aubrugg, zu einer relevanten Zunahme der Lärmbelastung führen, während weiter südlich, von Dübendorf bis Pfannenstiel, gesetzliche Lärmgrenzwerte nirgends überschritten werden. Der Grund für diesen zunächst überraschenden Sachverhalt liegt darin, dass gemäss Lärmschutzverordnung die Lärmbelastung der 16 Tagesstunden von 6 bis 22 Uhr gesamthaft und über das ganze Jahr hindurch zu beurteilen ist. Nun werden die Südanflüge auf Piste 34 sich jedoch in der Regel an Wochenenden und Feiertagen auf die Zeit von 6 bis 9 Uhr und an den übrigen Tagen auf 6 bis 7 Uhr beschränken – es sind also nur etwa 10 Prozent der Tageszeit belastet, die gemäss Lärmschutzverordnung zu berücksichtigen ist, während in den übrigen 90 Prozent nicht mehr Fluglärm als heute – ohne Anflugschneise Süd – zu hören sein wird: Somit bleibt der Einfluss auf die Gesamtbelastung bescheiden.

Belastungsspitzen am Wochenende

Die Einwohner der betroffenen Region wird das allerdings nicht beruhigen. Denn es werden, wie es schon im Umweltverträglichkeitsbericht vom 20. Februar 2002 heisst, «an sensiblen Wochentagen und sensiblen Tageszeiten Gebiete neu vom Flugbetrieb erfasst, die bis anhin keinen Fluglärm kannten». Das Mass dieser Belastung wurde damals von der Empa auch ausgewiesen mit einer Karte der zu erwartenden Lärmbelastung in der Zeit von 6 bis 9 Uhr an den Wochenenden und Feiertagen. Der sogenannte Mittelungspegel (Leq) für diese Zeit würde in einem etwa bis Stettbach reichenden Korridor unter der Anflugschneise 60 dB (A) übersteigen; dieser Wert entspräche dem Immissionsgrenzwert für Wohngebiete, wenn er als Leq über 16 Stunden gemessen würde. Bereits im zweifellos stark exponierten Gockhausen bliebe der 3-Stunden-Leq indessen unter 60 dB (A).

Ungewisse Entschädigungsansprüche

Der Immissionsgrenzwert für Wohnzonen ist eines der Kriterien, nach denen sich beurteilt, ob Hauseigentümer Minderwertentschädigungen wegen Fluglärms (Entschädigung für formelle Enteignung) beanspruchen können. Geht man von den Immissionsgrenzwerten gemäss Lärmschutzverordnung aus, so sind im Bereiche der Anflugschneise Süd mit Ausnahme des kleinen Zipfels beim Autobahndreieck Aubrugg keine relevanten zusätzlichen Lärmbelastungen zu erwarten. Ob und wie weit auf Grund der wesentlich weiter reichenden Belastungsspitzen in den frühen Morgenstunden und namentlich an Wochenenden ein spezieller Entschädigungsanspruch geltend gemacht werden kann, erfordert eine gerichtliche Klärung.

Da die Lärmschutzverordnung bereits eine Differenzierung nach Tageszeiten enthält (die jedoch nur für die Nachtstunden zwischen 22 Uhr und 6 Uhr einer erhöhten Empfindlichkeit Rechnung trägt), ist es fraglich, ob für das von Südanflügen betroffene Gebiet eine zusätzliche Differenzierung geltend gemacht werden kann. Allerdings wird in der Lärmschutzverordnung nicht unterschieden zwischen Werktagen und Sonn- und Feiertagen, und das könnte als Mangel stärker ins Gewicht fallen. Die Dreistunden-Belastungswerte der Wochenend- und Feiertage mit Südanflügen von 6 bis 9 Uhr wären ein denkbarer Ansatz für die Beurteilung von Entschädigungsansprüchen.

Provisorium unbekannter Dauer

Es bleiben aber bis zu gerichtlichen Klärungen weitere Fragen in der Schwebe. Südanflüge werden vom Flughafen als eine provisorische, vorübergehende Regelung betrachtet; mit dem künftigen definitiven Betriebskonzept (sofern es in absehbarer Zeit überhaupt zu einem solchen kommen wird . . .) sollen die Anflüge wieder ausschliesslich aus Norden und Osten erfolgen. Dafür ist allerdings die Einführung des gekrümmten Nordanfluges oder ein Erfolg im rechtlichen Streit um die deutschen Flugbeschränkungen Voraussetzung. Die Beeinträchtigung durch Fluglärm im Bereich der Südanflüge hätte also nur vorübergehenden Charakter – ein weiterer Faktor, der in Bezug auf Klagen wegen formeller Enteignung einiges in der Schwebe lässt. Kommt dazu, dass für das definitive Betriebskonzept die Einführung einer Abflugroute Richtung Pfannenstiel erwogen wird, womit der Fluglärm im Bereich der Flugschneise Süd dann doch nicht nur eine vorübergehende Beeinträchtigung wäre.

Das tatsächliche Mass der Fluglärmbelastung indessen bleibt erst noch zu ermitteln. Die vorliegenden Fluglärmgutachten der Empa geben zwar Anhaltspunkte; sie gehen jedoch notgedrungen von Annahmen über Flugpläne und Flugzeugflotten aus, die bereits wieder als überholt betrachtet werden müssen. Die zugrunde gelegte Zahl von insgesamt 290 000 Flugbewegungen pro Jahr für den Flughafen Zürich liegt wohl etwa um 50 000 über den Bewegungen des laufenden Jahres. Die Lärmschutzverordnung sieht vor, dass als Beurteilungsgrundlage Lärmbelastungskataster zu erstellen sind. Aber da über das künftige Betriebskonzept des Flughafens ebenso wenig etwas Definitives ausgesagt werden kann wie über die künftige Rolle Zürichs im internationalen Luftverkehr, entfällt vorläufig auch die Erarbeitung eines Lärmbelastungskatasters.

Man wird also das wirkliche Mass der Belastung erst zuverlässig beurteilen können, wenn die Anflugschneise Süd in Betrieb sein wird. Den Gemeinden in den besonders betroffenen Gebieten wäre zu empfehlen, sich um die Installation von Lärmmessanlagen zu bemühen. Juristen weisen die Hauseigentümer darauf hin, dass es juristisch nichts bringt, schon vor Beginn der Südanflüge vorsorglich Entschädigungsbegehren einzureichen; im Übrigen wird empfohlen, ein auf öffentliches Recht und Enteignungsrecht spezialisiertes Anwaltsbüro beizuziehen.