Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Ketten, Käppli und ein Brückenheiliger

ZSZ 26.07.2006

Südanflüge

In Kaiserstuhl besetzten rund 30 Schneiser die Rheinbrücke nach Deutschland

Auch nach 1000 Tagen Südanflüge scheint das Engagement der Gegner ungebrochen. In Kaiserstuhl blockierten rund 30 Schneiser die Rheinbrücke und sorgten damit für Unmut.

Regine Imholz

«1000 Tage Fluglärm sind genug», sagten sich die Mitglieder des Vereins «Flugschneise Süd – Nein» (VFSN) und beschlossen, zum «Jubiläum» eine spezielle Aktion durchzuführen.

Brueckenbesetzung Kaiserstuhl
Hier stehen sie, sie können nicht anders: Rund 30 Schneiser blockierten in Ketten eine Brücke bei Kaiserstuhl.

Rund 30 Schneiser trafen sich gestern im Morgengrauen im idyllischen Aargauer Städtchen Kaiserstuhl. Hier besetzten sie während einer guten Stunde die Rheinbrücke nach Deutschland.

Die Reaktionen auf die Blockade der Schneiser fielen unterschiedlich aus. Von einem gewissen Verständnis über Kopfschütteln bis hin zum blanken Unmut war alles zu sehen.

Die Polizei war mit einem Grossaufgebot zur Stelle, sah jedoch keinen Anlass zum Eingreifen, da sich die Schneiser friedlich gaben.

Ur-Schneiser Edgar Blum ist als Erster auf dem Parkplatz in Kaiserstuhl angekommen. Wenn immer es geht, ist der Fällander bei den Aktionen der Südanfluggegner dabei. «Die Energie lässt nach dieser langen Zeit etwas nach», sagt er leicht resigniert und packt sein gelbes Käppi aus. Ab und zu befalle ihn das Gefühl, einen aussichtslosen Kampf zu führen. Trotzdem müsse er weitermachen: «Es geht nicht an, das Recht so mit Füssen zu treten», sagt Blum mit Überzeugung und gesellt sich zu seinen gleichgesinnten Kollegen.

Grenzübergang blockiert

Die 33 Unentwegten haben sich inzwischen vor der Rheinbrücke versammelt und holen – unter den Augen der zahlreichen Medienleute – ihre leuchtend gelben Transparente hervor. Ein letzter Fahrer aus Deutschland kann gerade noch passieren, dann haben die Schneiser die Brückenmitte erreicht – es gibt kein Durchkommen mehr.

Ein Arbeiter aus Hohentengen ist der Erste, dem die aneinandergeketteten Schneiser den Weg versperren. Der Fahrer, der sich auf dem Weg zur Arbeit am Flughafen befindet, ärgert sich gewaltig: «Was zum Teufel hat denn diese Brücke mit dem Fluglärm zu tun», ruft er wütend und tritt ungeduldig aufs Gaspedal.

Er vertritt die Meinung, dass sich die Schweizer in all den Jahren vor den Südanflügen überheblich verhalten und sich nie um die Bedürfnisse ihrer deutschen Nachbarn gekümmert hätten. «Es sind nicht – wie Ihr Schweizer immer behauptet – die ‹Schwobe›, die arrogant sind», sagt er.

Gelassener Zöllner

Mühsam beherrscht fährt er mit seinem Auto auf die Menschenkette zu und erkundigt sich, wie lange die Aktion noch dauern werde. Als er erfährt, dass die Brücke noch bis 07.08 Uhr (ein symbolischer Akt – um diese Zeit enden jeweils die morgendlichen Südanflüge) blockiert sein wird, entschliesst er sich, den Umweg über Eglisau in Kauf zu nehmen.

Während auf dem Rhein die ersten Schwäne mit ihrer Morgentoilette beschäftigt sind, ist es mit dem Frieden auf der Brücke endgültig vorbei: «Was sind denn das für Vollidioten», schimpft der junge Fahrer eines Lieferwagens laut und dreht gleich wieder ab, zurück ins nördliche Nachbarland.

Der deutsche Zollbeamte nimmts gelassen: «Ich halte gar nichts von dieser Aktion», sagt er. Er fühle sich in der Ausübung seiner Arbeit beeinträchtigt. Tun könne er aber eh nichts, darum werde er jetzt einfach abwarten, was geschehen werde.

Während Thomas Morf, der Präsident des VFSN, der Presse bereitwillig Red und Antwort steht, trifft von der Schweiz her ein Vespa-Fahrer auf der Brücke ein. Erstaunt blickt er auf die Menschenmenge vor sich. «Was ist denn hier los?», fragt der junge Mann. Als ihm eine der gelb gekleideten Besetzerinnen ein Flugblatt in die Hände drückt, scheint er noch ratloser. Fluglärm? Schneiser? Südanflüge? «Nie gehört», sagt der Wettinger kopfschüttelnd.

Ein Autofahrer findet die Aktion in Ordnung: «Schliesslich hat jeder das Recht zu demonstrieren.»

Ungläubiger Heiliger

Nach 20 Minuten tritt die Aargauer Kantonspolizei auf den Plan. Einsatzleiter Urs Leibundgut verschafft sich einen Überblick: «Solange es zu keinen Ausschreitungen kommt, werden wir nicht eingreifen», beschliesst er.

Auch auf der deutschen Seite ist ein Streifenwagen eingetroffen. Einer der Polizisten meint in Richtung der unbeirrt ausharrenden Schneiser: «Die gehen doch sicher auch mit dem Flugzeug in die Ferien.»

Ein aufgebrachter Velofahrer findet gar keinen Gefallen an der Aktion der Schneiser: «Bleibt ruhig angekettet, Ihr Zürichsee-Bonzen», ruft er den Besetzern höhnisch zu. «Je länger, desto besser!»

Unterdessen ist auf Schweizer Seite Verstärkung eingetroffen. Zwei Beamte des mobilen Grenzpostens Aargau/Zürich und weitere uniformierte Polizisten stehen abwartend bei ihren Einsatzfahrzeugen.

Ungläubig betrachtet der ehrwürdige steinerne Brückenheilige die wohl eher ungewohnten Szenen, die sich zu seinen Füssen abspielen.

Dann – es ist 07.08 Uhr – ist die Blockade vorbei. Transparente werden eingerollt, die Ketten von den Armen abgestreift. «Gehen wir noch zusammen frühstücken?», fragt einer der Teilnehmer. «Oh ja», antwortet eine Kollegin, «am besten gleich auf dem Flughafen.» Schallendes Gelächter ist ihr sicher.

Langsam ziehen sich die Schneiser von der Brücke zurück in Richtung Dorf. Doch auch hier scheinen sie nicht gerade willkommen: «Wir haben den Fluglärm seit 40 Jahren», hält ein empörter Bewohner den Demonstranten entgegen. «Da hat kein Mensch etwas gesagt!»

Polizei Kaiserstuhl
Die Kantonspolizei Aargau nimmt die Personalien der «Gelbkappen» auf. Im Hintergrund staut sich der Verkehr auf der Brücke.

Die Beamten haben sich am Ende der Brücke versammelt und nehmen nun die Personalien der Besetzer auf. «Die Schneiser werden mit Konsequenzen rechnen müssen», sagt Marcel Keller. Der zuständige Untersuchungsrichter aus dem Bezirk Zurzach ist eben erst eingetroffen und will sich vorab ein Bild von der Situation verschaffen.

Keine Angst vor Strafe

Durch die Sperre der Polizeibeamten ist erst recht ein Stau auf der Brücke entstanden. Zwei Frauen reagieren entnervt: «Um sieben Uhr hätten wir mit der Arbeit beginnen sollen», sagt die eine. «Wer bezahlt uns den Ausfall?»

Endlich wird die Brücke freigegeben. Neugierig mustern die Autofahrer den Menschenauflauf in Kaiserstuhl.

Einigen Schneisern scheint nicht mehr ganz wohl, als sie hören, dass eine Verzeigung wegen Nötigung droht. «Nein, ich sage Ihnen meinen Namen nicht», übt sich einer der Gelbbemützten in zivilem Ungehorsam, als ein Polizist seine Personalien aufnehmen will. Er entfernt sich und entledigt sich seines auffälligen gelben T-Shirts. Locker nimmts Michel Craman aus Pfaffhausen: «Jetzt werd ich mit 68 Jahren zum ersten Mal verzeigt. Was soll schon viel passieren?», fragt er gelassen und wendet sich ab. Jetzt ruft das Frühstück.

Nachgefragt – Thomas Morf

«Das sind die bravsten Bürger»