Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

«Generationenprojekt! Einzigartig!» – «Grössenwahnsinnig! Luftschloss!»

TA 28.11.2022 – Zukunft Flugplatz Dübendorf

Der Kantonsrat hat die Weichen gestellt für den geplanten Innovationspark auf dem Militärflugplatz. Dafür hat er über 100 Millionen Franken bewilligt.

Es ist fast auf den Tag 18 Jahre her, dass der Bund das Ende der Kampfjets in Dübendorf verkündete. Seither stritten Bund, Kanton, Gemeinden und Anwohnergruppen leidenschaftlich und mehrfach auch vor Gericht über die Zukunft dieses 250 Hektaren grossen Areals. 

Jetzt aber ist der Durchbruch zum Greifen nah. Der Kantonsrat hat wegweisende Entscheide gefällt. Sie verleihen dem geplanten Innovationspark Schub – also dem Bau eines ganzen neuen Stadtteils, in dem sich Bildungsinstitutionen, Forschungsanstalten und private Firmen ansiedeln, um Forschung und Entwicklung in verschiedensten Gebieten voranzutreiben.

Drei Geschäfte hat das Parlament am Montag dazu beraten, das vierte folgt in einer Woche.

1. Die Grundlagen

Die wichtigste Grundlage für den Innovationspark durften die Kantonsrätinnen und Kantonsräte nur zur Kenntnis nehmen: den Bericht, den Bund, Kanton, Gemeinden und zahlreiche wichtige Partner wie ETH, Universität und ZKB erarbeitet haben. Er enthält die Strategie für die künftige Entwicklung. 

Kurz zusammengefasst: Im westlichen Teil des Flugplatzes entsteht nach und nach ein neuer Stadtteil aus Bauten, die 25 bis 35 Meter hoch sind. Dort werden Start-ups, KMU und Ableger von Hochschulen und Forschungsanstalten einziehen. Rund 10’000 Personen sollen im Innovationspark Arbeit finden. 

Die Flugsicherung Skyguide bleibt wie bisher im nördlichen Teil des Areals beheimatet, ebenso die Rega sowie die Helikopterbasen von Militär und Polizei. Die bisherigen Flugpisten bleiben erhalten, aber die Flächen darum herum werden als Park für die Anwohner geöffnet. Auch ökologische Nischen und Biotope sind geplant.

Der Innovationspark soll, das war Baudirektor Martin Neukom (Grüne) wichtig, kein Retorten-Stadtteil werden: «Wir schaffen ein neues Stadtquartier, das auch am Wochenende vielfältig und lebendig ist.» So sind auch Gastronomie und Freizeitangebote möglich. 

Das ist ein Konzept, das der grossen Mehrheit im Kantonsrat zusagt. Zwar waren nicht alle so begeistert wie Cristina Cortellini (GLP, Dietlikon) und Doris Meier (FDP, Bassersdorf), die beide von den Chancen schwärmten, die sich in Dübendorf böten. «An diesem einmaligen Standort sollen kluge Köpfe aus Bildung, Forschung und Wirtschaft zusammengebracht werden», sagte Meier. Cortellini sah es ähnlich: «Heute beschliessen wir die Grundlage für einen internationalen Forschungsstandort.» 

«Dübendorf ist nicht mehr Dübendorf, wenn das gebaut wird.»

Patrick Walder, SVP

Aber die Zustimmung war trotz gewisser Bedenken über fast alle Fraktionen gross – mehr als einmal fiel der Ausdruck «Generationenprojekt».

Opposition kam von den Grünen. Sie sind nicht grundsätzlich gegen den Innovationspark, haben jedoch erstens bei der Finanzierung Bedenken und sind zweitens nicht damit einverstanden, dass die Pisten für bestimmte Nutzungen in Betrieb bleiben. «Wir werden alle Möglichkeiten prüfen, um uns gegen die zivile Fliegerei zu wehren», sagte Karin Fehr (Uster).

Auch sagen die beiden SVP-ler Orlando Wyss und Patrick Walder, die beide aus Dübendorf stammen, kategorisch Nein. Wyss nannte das Projekt grössenwahnsinnig. Es verursache Dübendorf nur Kosten, bringe aber keine Steuereinnahmen. Walder doppelte nach, seine Gemeinde werde mit diesem «Luftschloss» zur Grossstadt: «Dübendorf ist nicht mehr Dübendorf, wenn das gebaut wird.» 

2. Der Kredit

Gratis ist der Innovationspark nicht zu haben, und ums Geld drehte sich der erste Entscheid dieses späten Montagnachmittags. Konkret musste der Kantonsrat über einen Kredit von 97,5 Millionen Franken entscheiden. Rund die Hälfte ist für die Erschliessung des Geländes nötig, also unter anderem für die Zufahrtsstrasse ab der Oberlandautobahn und die Verlängerung der Glattalbahn, aber auch für den Park und die ökologische Aufwertung.

Weitere 44 Millionen fliessen in die Feinerschliessung, also etwa Zufahrten und Werkleitungen auf dem Areal selbst. Sie sind ein Darlehen an die IPZ Property, das innert zwanzig Jahren zurückbezahlt werden soll. Die IPZ Property erstellt und betreibt die neuen Gebäude im Innovationspark; sie ist eine Aktiengesellschaft, an der neben Kanton und Gemeinden unter anderem die Immobilienfirma HRS beteiligt ist.  

«Wenn man eine Saat streut, lässt man sie nicht verdorren, sondern wässert und düngt sie, damit sie gut gedeiht.»

Christian Schucan, FDP

Diese millionenschwere Anschubfinanzierung brauche es, um Investoren auf das Gelände zu locken, betonten mehrere Rednerinnen und Redner. Denn anfangs verdienten die dort angesiedelten Unternehmen noch nichts. Walter Meier (EVP, Uster) war sich aber sicher: «Wenn das Projekt zum Fliegen kommt, fliesst mehr Geld zum Kanton zurück, als er anfangs ausgibt.» 

Die Grünen beantragten, das 44-Millionen-Darlehen zu streichen. «Es gibt keine einzige andere Privatfirma, die je ein solches Darlehen erhalten hätte», sagte Karin Fehr. «Eine so extreme Sonderbehandlung finden wir stossend.» Christian Schucan (FDP, Uetikon am See) konterte: «Wenn man eine Saat streut, lässt man sie nicht verdorren, sondern wässert und düngt sie, damit sie gut gedeiht.» 

Die Ratsmehrheit sah das gleich, der Antrag der Grünen scheiterte mit 142:23 Stimmen. 

3. Die Aviatik

Im dritten Geschäft ging es dann um den grossen Zankapfel zwischen Grünen und dem Rest des Kantonsrats: Die Frage, ob und wie die bestehenden Pisten künftig noch genutzt werden dürfen. Regierungsrat, Standortgemeinden, beteiligte Hochschulen und eine Mehrheit des Kantonsrats sind überzeugt, dass die Landebahn einen einmaligen Vorteil darstellt. Das Stichwort heisst «Forschungs- und Werkflugplatz».

Schon heute sind ETH-Spinoffs auf dem Flugplatz angesiedelt, die sich mit der Fliegerei befassen. So wurde in Dübendorf das weltweit erste elektrische Reiseflugzeug entwickelt. Künftig könne der Flugplatz Dübendorf, diese «Wiege der Schweizer Luftfahrt», zum Treiber für eine zukunftsfähige, klimaneutrale Fliegerei werden, zeigten sich mehrere Rednerinnen und Redner überzeugt. «Der Zugang zu einem Flugfeld und die Nähe zu den Hochschulen ist einzigartig», sagte Cristina Cortellini. 

Ein Beispiel für den sogenannten Werkflugplatz Dübendorf: Studierende der ETH Zürich haben im Jahr 2021 in nur acht Monaten das konventionelle Motorflugzeug Sling TSi in das weltweit erste, viersitzige, elektrische Reiseflugzeug – die e-Sling – verwandelt.

Für die SVP ist der Erhalt der Pisten gar die Bedingung für ein Ja zum Innovationspark. Allerdings geht auch das nicht ohne Geld. 8,2 Millionen Franken beantragte der Regierungsrat, um ein Konzept für die zukünftige Nutzung der Pisten zu erarbeiten. Denn noch ist unklar, wer die Pisten dereinst betreiben soll – und wie der Betrieb finanziert wird.

Sicher ist nur: Zieht sich der Kanton zurück, übernimmt der Bund als Eigentümer das Zepter. Und er hat bereits klargemacht, dass er die Pisten aus finanziellen Gründen mittelfristig stilllegen würde. Für Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) ist das undenkbar: «Wir können die erfolgreiche Geschichte der Schweizer Luftfahrt fortsetzen.» Jetzt gelte es, «ergebnisoffen» die nötigen Abklärungen zu treffen.

Für die Grünen ist das der falsche Weg. Und zwar auch aus grundsätzlichen Überlegungen, wie Urs Dietschi (Lindau) erklärte. Der Weiterbetrieb der Pisten werde nie rentieren, weshalb die Gefahr drohe, dass der Flughafen Kloten eines Tages doch noch die ungeliebten Business-Flüge nach Dübendorf auslagere: «Wenn wir dem Geschwür Fliegerei in unserem Kanton nicht Einhalt gebieten, wird es weiter wuchern.» Auch mit diesem Antrag unterlagen die Grünen; der Rat genehmigte den Kredit mit 131:23 Stimmen.

4. Wie es weitergeht

Zu Ende ist die Debatte damit noch nicht. Am kommenden Montag folgt das vierte Geschäft. Dann geht es um den Richtplan. Dieser bildet die Grundlage für die künftige Zufahrtsstrasse und die Verlängerung der Glattalbahn. Und dort wird auch die magische Zahl von 20’000 Flugbewegungen verankert, die auf dem Flugplatz Dübendorf künftig pro Jahr maximal zulässig sein werden.