Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus!

Der Flughafen will seine Pisten verlängern, um endlich einen stabilen Flugbetrieb zu erreichen – doch die Abstimmung dürfte zur Zitterpartie werden

NZZ – 16.01.2023

Eine Umfrage der NZZ zeigt, dass der wichtigste Entscheid zum Flughafen seit Jahrzehnten auf der Kippe steht.

Michael von Ledebur

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten soll das Pistensystem am Flughafen Zürich angetastet werden. Karin Hofer / NZZ

Fast scheint es, als hätten sich die Zürcherinnen und Zürcher mit ihrem Flughafen ausgesöhnt. Die Zeiten der Mahnwachen und Protestmärsche gegen den Fluglärm sind vorbei. Klaus J. Stöhlker, eine gewichtige Stimme im Fluglärmstreit, beklagte kürzlich auf «Inside Paradeplatz» den Absturz der einst mächtigen Bürgerorganisationen gegen den Fluglärm. Es seien nur noch ein paar Veteranen übrig.

Doch das entspannte Verhältnis der Bevölkerung zu ihrer Flugverkehrsdrehscheibe wird in den kommenden Monaten auf die Probe gestellt. Zum ersten Mal seit dem Bau der dritten Piste im Jahr 1976 soll das Pistensystem des Zürcher Flughafens erweitert werden. Zwei der drei Pisten will der Regierungsrat verlängern, 250 Millionen Franken kostet dieses Vorhaben. Ziel sei ein einfacheres An- und Abflugregime – Kritiker sprechen von einem versteckten Kapazitätsausbau. Das letzte Wort dürfte das Volk haben.

Für den Flughafen geht es um viel. Seit Jahren kommt er mit seinen Bemühungen um ein stabileres System nicht voran. Dies in erster Linie, weil Deutschland zu keinen Konzessionen bei der Nutzung des Luftraums bereit ist. Starten und landen in Zürich ist für Pilotinnen und Piloten auch im weltweiten Vergleich komplex. Nach einem Beinahe-Crash 2011 hatte der Bund eine Sicherheitsüberprufung angeordnet. Die Pistenverlängerungen sind eines der wenigen Mittel zur Verbesserung der Situation, die der Flughafen selbst in der Hand hat.

Nun zeigt eine Umfrage der NZZ, dass die Zustimmung der Stimmberechtigten keineswegs gegeben ist. Lediglich eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der befragten Zürcherinnen und Zürcher unterstützt das Vorhaben. 9 Prozent sind unentschieden, 40 Prozent lehnen es ab.

Das Geschäft wird derzeit intensiv in der Verkehrskommission des Kantonsrats diskutiert. Offenbar ist es das Ziel, es noch in dieser Legislatur abzuschliessen – also bis im April. Der Kommissionsentscheid ist wichtig. Er dürfte das Verdikt im Kantonsrat vorspuren. Und bei der Volksabstimmung, die zu erwarten ist, werden sich erfahrungsgemäss viele Stimmberechtigte an der Haltung des Kantonsrats orientieren.

Der Absturz vor neun Jahren

Politisch ist die Ausgangslage altbekannt: Die Bürgerlichen begrüssen die Pistenverlängerungen, die Linken lehnen sie ab. Doch die Geografie spielt eine grosse Rolle. In Regionen, die in Anflugschneisen liegen, stimmen oft auch bürgerliche Politikerinnen mit den Flughafenskeptikern. Vor neun Jahren stürzten die Pistenverlängerungen aus diesem Grund im – damals bürgerlich dominierten – Kantonsrat ab, als über den Richtplaneintrag entschieden wurde. Der Bund, der in Sachen Flughafen das letzte Wort hat, korrigierte diesen Entscheid später. Nun steht das konkrete Bauprojekt zur Debatte.

Sollte der Kantonsrat die Pistenverlängerungen ablehnen, kämen sie wahrscheinlich trotzdem vors Volk – obwohl dies normalerweise bei gescheiterten Geschäften nicht der Fall ist. Dafür hat unter anderem Carmen Walker Späh (FDP) gesorgt, als sie, damals noch als Kantonsrätin, die Idee des «negativen Referendums» eigens für den Flughafen ins Spiel brachte, welche im Kantonsrat eine Mehrheit fand. Heute ist Walker Späh als Regierungsrätin für den Flughafen zuständig. Sie äussert sich nicht zum Thema, mit Verweis auf die Beratungen in der zuständigen Kommission.

Frei äussern kann sich hingegen Andreas Schürer, Geschäftsführer des Komitees Weltoffenes Zürich, einer Lobbygruppe für den Flughafen. Er freut sich über die knappe Mehrheit für die Pistenverlängerungen in der NZZ-Umfrage – «aber das reicht natürlich noch nicht». Man müsse den Leuten weiterhin sachlich erklären, weshalb der Schritt notwendig sei für einen sicheren und stabilen Flugbetrieb.

Priska Seiler Graf ist SP-Regierungsratskandidatin, Nationalrätin, ehemalige Stadträtin von Kloten und dezidierte Gegnerin eines Pistenausbaus. Sie sagt: «lch hätte mehr Zustimmung erwartet, weil der Flughafen bei jeder Gelegenheit die Werbetrommel für den Ausbau rührt. Die Meinungen sind offensichtlich noch nicht gemacht.»

Gemäss der Argumentation des Regierungsrats müssen beide Pisten verlängert werden, weil sie für manche schwere Flugzeuge zu kurz sind. Im Falle der Piste 10/28 geht es um landende, im Falle der Piste 14/32 um startende Jets. Zürichs schwieriges Pistensystem mit dem Pistenkreuz erfordert immer wieder Umstellungen zwischen verschiedenen Betriebskonzepten. Jeder Konzeptwechsel kostet Zeit. Der Ausbau soll dazu führen, dass die Konzepte seltener gewechselt werden müssen.

Heute wird in Zürich abends jeweils von Osten gelandet und Richtung Norden gestartet. Aber die Piste 10/28 ist mit 2500 Metern Länge für manche Flugzeuge bei gewissen Wetterlagen, zum Beispiel bei Nässe, zu kurz. Es gibt Piloten, die darauf bestehen, auf einer längeren Piste zu landen. Dann muss der Betrieb auf Südanflug umgestellt werden. Mit verlängerter Piste wäre dieser Betriebswechsel nicht mehr nötig.

Die Piste 14/32 wiederum ist für grosse Flugzeuge zu kurz für den Start Richtung Norden. Diese weichen auf die fast parallel verlaufende, langere Piste 16/34 aus. Das Problem: Auf dem Weg dorthin müssen sie am Boden die Piste 10/28 kreuzen. Kreuzungspunkte sind grundsätzlich eine Gefahrenquelle. Sie erfordern Sicherheitsmargen. Das kostet Zeit. So wird die Landepiste 10/28 jeweils gesperrt, wenn auf der Piste 16/34 gestartet wird. Dies könnte man sich mit einer verlängerten Startpiste 14/32 ersparen.

Klar ist: Die vermehrten Ost-Landungen abends würden die Anwohner im Süden des Flughafens ent- und jene im Osten belasten. Gemäss Berechnungen der Empa nähme die Anzahl der vom Lärm gestörten Personen insgesamt leicht ab, da vor allem im Osten weniger dicht besiedeltes Gebiet beschallt würde. Ein Nebeneffekt der Pistenverlängerung nach Westen wäre, dass die Glatt um das Flugfeld herumgeleitet und auf einer Länge von 3 Kilometern renaturiert würde.

Was kann man gegen Massnahmen haben, die den Betrieb am Flughafen sicherer und stabiler machen sollen? Priska Seiler Graf sagt: «Ich wohne in der Anflugschneise des Flughafens und habe keine Bedenken. Der Flughafen ist heute schon sicher.» Den Beteuerungen der Flughafenverantwortlichen glaube man nicht mehr – in Wahrheit gehe es eben doch um einen Kapazitätsausbau. Zu diesem Thema hält der Flughafen auf Anfrage fest: «Die Pistenverlängerungen bewirken keine Kapazitätserhöhung.»

Seiler Graf sagt, sie könne die technischen Vorteile der Verlängerungen durchaus nachvollziehen. Sie würde diesen auch zustimmen – unter der Voraussetzung, dass ein Kapazitätsausbau in Zusammenhang mit den Pistenverlängerungen kategorisch ausgeschlossen werde. Sie hoffe, dass die Kantonsratskommission eine solche Anpassung vornehmen werde. «Andernfalls werden wir den Beschluss bekämpfen und auch die Fluglärmorganisationen rund um den Flughafen reaktivieren.» Anders als in früheren Fluglärmdebatten werde das Klima-Argument eine Rolle spielen. In trockenen Tüchern sei der Ausbau jedenfalls nicht.

Andreas Schürer entgegnet, der Treiber für die Verlängerungen seien nicht Kapazitätsengpasse, sondern eine Sicherheitsüberprüfung des Bundes. «Sollte der Kantonsrat den Empfehlungen aus der Sicherheitsüberprüfung nicht folgen, wäre das ein starkes Stück.»

Seiler Grafs Idee einer «Garantie» in Sachen Kapazitätsausbau erteilt Schürer eine Abfuhr. Es handle sich um einen politischen Grundsatzentscheid, «nicht um eine Gesetzesvorlage, die sich mit Bedingungen anreichern lässt». Ohnehin sei die zulässige Kapazität bereits im Flughafengesetz geregelt. Der Regierungsrat müsse bei einer Überschreitung von 320´000 Flugbewegungen Massnahmen treffen. «Das ist demokratisch legitimiert und ausreichend.» Schürer verweist auf das enge Korsett des Zürcher Flughafens mit einer Nachtruhe, die mit sieben Stunden so streng sei wie bei keinem vergleichbaren Drehkreuz in Europa. Allerdings gibt es Ausnahmebewilligungen zum Verspätungsabbau für Flüge nach 23 und vereinzelt sogar nach 23 Uhr 30. Es sind gerade diese Flüge, die viele Leute stören. Schürer sieht darin aber ein weiteres Argument für die Pistenverlängerungen: Ein stabileres System werde auch deutlich weniger verspätungsanfällig sein.

Gemäss NZZ-Umfrage lehnen grüne Wählerinnen und Wähler die Pistenverlängerungen besonders deutlich ab (92 Prozent Ablehnung), jene der FDP unterstützen das Ansinnen am stärksten (77 Prozent Zustimmung). Interessant ist die Haltung der GLP. 2014 war sie im Kantonsrat noch treibende Kraft gegen eine Pistenverlängerung. Es gibt Anzeichen, dass die Partei ihre Haltung geändert hat.

Kürzlich berichteten die Tamedia-Zeitungen, dass der GLP-Regierungsratskandidat Benno Scherrer die Verlängerungen nun befürworte, entgegen seiner ursprünglichen Haltung. Fliegen sei «eine Realitat, man muss sich mit dieser Tatsache arrangieren». Offiziell hat die GLP noch nicht Position bezogen. Die NZZ-Umfrage zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler der GLP in dieser Frage gespalten sind. 53 Prozent sind dagegen, 47 Prozent dafür.

Gut möglich, dass sich am Verdikt der grünliberalen Partei die Volksabstimmung entscheiden wird.